München, 03.03.2025 Sehr geehrte Damen und sehr geehrte Herren, bekanntlich fand am 24.02.2025 an der LMU München zwischen einem Vortrag (Titel: Was tatsächlich geschah: Die Flugblattaktion der Geschwister Scholl am 18. Februar 1943) von Prof. H. G. Hockerts und einem Konzert im Lichthof die feierliche Enthüllung und Einweihung einer Gedenktafel statt, die an die letzte Flugblattaktion der Geschwister Scholl und ihre anschließende Gefangennahme in Erinnerung halten wird. Die Gedenktafel, angebracht an der Brüstung gegenüber Hörsaal A213 im 2. Stockwerk des LMU Hauptgebäudes, markiert den authentischen Ort, an dem sich der Höhepunkt und fast gleichzeitig der Schlußmoment der Flugblattaktionen der Münchner studentischen Widerstandsgruppe Weiße Rose gegen das Hitler-Regime ereigneten. Der in eine Steintafel eingravierte Text, dessen Verfasser/in nicht genannt wurde, lautet wie folgt: An dieser Stelle warfen Sophie und Hans Scholl am 18. Februar 1943 um kurz vor 11 Uhr das sechste Flugblatt der Weißen Rose in den Lichthof. Der Hörsaaldiener Jakob Schmid enteckte sie und nahm sie fest. Ich sehe diesen sehr kurzen Fünfzeiler wegen seiner erschreckenden Banalität/Ödnis, seiner Dürre/Magerkeit und seiner vollendeten Empathielosigkeit als absolut unpassend zum damaligen hochdramatischen Geschehen; und zum darauf gründenden Gedenken und seiner Breitenwirkung ins Internationale. Das intellektuelle Niveau des Textes steht in hohem Kontrast zu dem der Flugblatt-Texte und dem Seneca-Zitat vis-a-vis; letzteres geht auf die Menschlichkeit der Protagonisten und ihr unmenschliches Ende ein. Es befremdet, wenn - solch ein Text wegen des schon großen und immer weiter wachsenden zeitlichen Abstands zum Geschehen nicht allgemein verständlich abgefasst ist; dies ist zudem nötig, weil sein Standort von internationalem Publikum frequentiert wird. Aus dem Inhalt geht nicht hervor, dass der Begriff Weiße Rose die damalige Münchner studentische Widerstandsbewegung gegen das NS-Regime bezeichnet. Die Nennung des Letzteren ist auch zur Definition der damaligen politischen Situation, in der kaum jemand Widerstand wagte, zwingend erforderlich; - auf der Gedenktafel von Widerstandskämpfern fast im gleichen Atemzug ein dem Regime treu ergebener Bediensteter namentlich genannt wird, der - wie zehner Millionen andere nur seine Dienstpflicht erfüllend - sie in den Todesmühlen einer Unrechtsjustiz gehorsamst ablieferte und dafür noch belohnt wurde; - die berufliche Tätigkeit des Bediensteten genannt wird, der Status der beiden Protagonisten jedoch nicht. Die Gedenktafel ist zu klein für den politisch höchst bedeutsamen Vorgang, an den hier würdig und angemessen erinnert werden muß; und es ist dabei wirklich irrelevant, um wieviel Uhr die Flugblattaktion stattfand und welche Ziffer das Flugblatt trug. Den Text kann man auch so lesen, als sei nur ein einzelnes Flugblatt in den Lichthof geworfen worden. Ich bezweifle, ob ein Hörsaaldiener damals die Befugnis hatte, Studenten festzunehmen; denn er war wohl kein Justizbeamter. Man hätte wenigstens ein paar Zitate (s. u.) aus den Flugblättern auf die Gedenktafel setzen können; sind sie doch in demokratisch unsicher werdenden Zeiten besonders wertvoll. Fazit: Die Idee der Einrichtung dieser neuen Gedenktafel war richtig. Das Objekt ist aber zu klein. Der darauf befindliche Text schadet wegen seiner Trivialität, seiner unpassenden Neutralität, Sterilität und wegen seines emotionalen Vakuums. Er ist peinlich für die LMU und dem Andenken der Geschwister Scholl und ihrer Mitstreiter unwürdig. Ausserdem fehlen Übersetzungen des Textes in andere Sprachen (zumindest ins Englische) und in die Brailleschrift; sowie ein QR-Code, mittels dem Interessenten weitere Information zum Thema erhalten können. Eine Änderung ist erforderlich. Mit freundlichen Grüßen Dr. Hubert Engelbrecht P.S.: Vorschlag eines alternativen Textes auf einer größeren Steintafel: Für Frieden, Freiheit, Menschenwürde und Gerechtigkeit gekämpft. Von einer Unrechtsjustiz zum Tode verurteilt und selbtags hingerichtet. Zu beständiger Zivilcourage gegen
Totalitarismus mahnend; individuelle Verantwortung
fordernd. Dramatischer Kulminationspunkt und fast gleichzeitig finaler Moment im viel zu kurzen Lebenszyklus der Flugblattaktionen der Weißen Rose: Hier am authentischen Ort fand am 18.02.1943 die letzte Flugblattaktion der an der LMU München eingeschriebenen Geschwister Sophie und Hans Scholl statt. Sie waren Akteure der Münchner studentischen Widerstandsgruppe Weiße Rose gegen das NS-Regime. Kurz nachdem die Flugblätter auf den Boden des Lichthofs gewirbelt waren, wurden die beiden gestellt, gefangen genommen und am 22.02.1943 an ihnen Justizmord begangen: erniedrigende Guillotinierung durch einen Scharfrichter im Strafgefängnis München-Stadelheim. Ihre letzten Ruhestätten befinden sich im dort anliegenden Friedhof Perlacher Forst. Die Unrechtsurteile des Volksgerichtshofs wurden erst am 20.02.1983 vom Bundesjustizministerium aus dem Bundeszentralregister gelöscht. Aus den Flugblättern 1-7 einige stets aktuelle Aussagen: Wenn jeder wartet, bis der andere anfängt, werden die Boten der rächenden Nemesis unaufhaltsam näherrücken (1: 3. Absatz). Der Bürger ist wegen seines Verhaltens selbst schuld, dass so eine Regierung überhaupt entstehen konnte (2: 3. Absatz). Jeder hat einen Anspruch auf einen brauchbaren und gerechten Staat, der die Freiheit des Einzelnen als auch das Wohl der Gesamtheit sichert (3: 1. Absatz). Es geht uns um wahre Wissenschaft und echte Geistesfreiheit. (6: 4. Absatz). Der ins Exil getriebene Literaturnobelpreisträger Thomas Mann über Sophie und Hans Scholl am 27.6.1943 in einer Rundfunkansprache im Radiosender BBC London in der Sendung Deutsche Hörer!: Brave, herrliche junge Leute, die ihr junges Haupt auf den Block legten, für ihre Erkenntnis und für Deutschlands Ehre! Ihr sollt nicht umsonst gestorben, sollt nicht vergessen sein. Dies zum immerfort ehrenden Gedenken an die Studenten Sophie und Hans Scholl. Wunderbar, dass es sie und ihre Mitstreiter gab. ------------------ 24.03.2025
Vielen Dank für Ihre ausführliche Antwort, die ich mit großem Interesse gelesen habe und der ich in vielen Teilen zustimme. Ganz richtig widersprechen Sie meiner Behauptung, es sei irrelevant, welches Flugblatt abgeworfen wurde. Da lag ich klar daneben. Diktaturen funktionieren nur dann, wenn Millionen Bedienstete sie pflichtergeben unterstützen. So tue ich mir weiterhin schwer damit, dass einer von denen auf derselben Gedenktafel namentlich genannt und damit ebenso wie die Protagonisten, die er ans Messer lieferte, verewigt ist. Diesen Vorzug, auf einer Gedenktafel per Namensnennung unsterblich gemacht zu werden, hat er aber aus bekannten Gründen nicht verdient. Ich sah in den Büchern Erinnern und Gedenken... meiner Ehefrau Helga Pfoertner alle abgebildeten Gedenktafeln durch und fand kein Beispiel, auf dem sowohl Betroffene als auch Täter namentlich genannt sind. Oder wissen Sie Gegenbeispiele? Das würde mich erstaunen, denn man erzeugt mit der namentlichen Nennung beider m. E. einen Moralkonflikt: In offenen Gesellschaften wird einer unehrenhaften Person nicht gedacht; sie hat deshalb auch nicht den öffentlichen Raum und die damit verbundene Aufmerksamkeit verdient, die man ihr per Namensnennung geben würde. Gedenktafeln zeigen keine Täternamen, weil sie nicht gleichzeitig für Ehre und Schande stehen können. Zudem besteht die Gefahr der Schaffung von Wallfahrtsstätten für ewig Gestrige. So meine ich: Gedenktafeln sind exklusiv den Betroffenen reserviert. Sie schreiben, dass auf der neuen Gedenktafel ein Wiederholen von Wissen, Botschaften und Einsichten nicht erforderlich ist, weil sie kennzeichnende Funktion hat und ersterem an anderen Orten in der LMU bereits nachgekommen ist. Letzteres ist vollkommen richtig und m. E. auch sehr gut gelungen. Aber ich möchte einwenden, dass Wiederholungen manchmal leider doch notwendig sind: denn man kann nicht voraussetzen, dass alle an der neuen Gedenktafel des Weges kommenden Passanten die DenkStätte kennen oder an anderen Bildungseinrichtungen über die Weisse Rose informiert wurden. Ausserdem: die Studenten und Akademiker aus vielen Ländern stehen fast allesamt unter Studierstress: die meisten haben einen dicht getakteten Stundenplan. So sind Zeitressourcen zum Einholen weiterer Information oder für einen Besuch der DenkStätte knapp. Ausserdem ist das Ereignis schon über 80 Jahre her. Stünden jedoch nur ganz wenige, aber treffende Kernsätze über das dramatische Ereignis und seine politischen Hintergründe zusätzlich auf der Gedenktafel, würde das ihnen sehr helfen und ihre Neugierde wecken, sich über QR-Codes weiter zu informieren. Die Passanten sollen anhand dieser Information erkennen können, dass sich hier am authentischen Ort ein jäher Kipp-Punkt bzw. irreversibler Kontrollverlust ereignete, der, wie ich schon schrieb, fast gleichzeitig Höhepunkt und tragischen Schlußmoment der Flugblattaktionen der Weißen Rose markiert. Hier brach sich das Unglück Bahn: weil hier die beiden Geschwister urplötzlich vom Leben an die Schwelle zum Tod gerieten bzw. sich vor ihnen das Tor zur Hölle auftat. Die Passanten sollen darüber hinaus begreifen, dass als unmittelbare Folge dieser Katastrophe hier ein sehr besonderer, vielleicht sogar der bedeutendste Ort in der LMU München gegründet wurde: denn hier setzte sich m. E. der Kristallisationskeim eines neuen freiheitlich-humanitär-demokratischen Selbstverständnisses der LMU fest und begann nach dem 08.05.1945 zu wachsen. So wurde die Widerstandsgruppe Weiße Rose zum bedeutendsten Alleinstellungsmerkmal dieser Universität. Je besser und anschaulicher Vergangenheit erklärt wird, desto leichter kann man aus ihr lernen. So bitte ich darum, dass auf der Gedenktafel ein paar weitere Sätze hinzugefügt werden, welche die dramatische Schlüsselszene bei die Entstehung dieses für alle Zeiten aktuellen politischen Brennpunktes/hotspots in der LMU München dem Interessenten besser nahebringt. Alles ist geschichtlich; aber positive Ereignisse sollten nicht an Wirkkraft auf Gegenwart und Zukunft verlieren, wie z. B. die Aktionen der Weißen Rose. Könnte man deshalb in der DenkStätte einige ihrer Äusserungen in die Gegenwart holen, indem man sie in Bezug setzt zu politisch-gesellschaftlichen Strömungen und Geschehnissen nach 1945? Denn die wahren Sätze, die sie in ihren Sternstunden der Erkenntnis formulierten und der Zensur zum Trotz publizierten, sind hochaktuell und verdienen mehr Aufmerksamkeit. Würde man sie ignorieren, blieben ihre Aufrufe wirkungslos. Folglich würden sie einen weiteren, dieses mal sinnlosen Tod sterben. MfG HE |