03.10.2021

Eisbohrkern vom Höllentalgletscher - Konservierung seines Informationsgehaltes

Sehr geehrte Damen und sehr geehrte Herren,

Gletscher sind sensible Klimaindikatoren. Die Massenbilanzen vieler Gletscher und Inlandeisflächen auf dem Globus sind wegen des anthropogenen Klimawandels seit Jahrzehnten negativ (IPCC 2021). Der erste Gletscher, der deswegen sich vollständig in Schmelzwasser, Wasserdampf, Staub und Moränenmaterial umwandelte, war im Jahr 2014 der Gletscher auf dem Schildvulkan Ok auf Island; und am 22.09.2019 fand eine Gedenkfeier für den Schweizer Pizol-Gletscher statt; gut 100 Trauergäste waren zugegen.

Weil die genannte Klima-Erwärmung in den Alpen im Durchschnitt doppelt so schnell erfolgt wie im umgebenden Flachland, schreiten Volumen- und Flächenschwund der Gletscher der bayerischen Kalkalpen schnell voran; Glaziologen wagen vorsichtige Prognosen, wann das letzte Eis im bayerischen Hochgebirge geschmolzen sein wird. So gehen sehr charakteristische und interessante, aber auch äusserst empfindliche Naturbildungen auf sehr lange Zeit verloren (Jana Erb: This is not to be seen by future); das "Ewige Eis" hat viele Menschen fasziniert.

Sicher wird auf die anthropogene Klimaerwärmung wohl in ferner Zukunft eine Klima-Abkühlung folgen. Ob aber der Mensch in Bayern jemals erleben wird, wie in seiner Heimat Gletscher in Nivationsnischen erneut zu wachsen beginnen, ist nicht gesichert.

Gletscher sind natürliche Archive vergangener Klimaten und Zustände der Umwelt: die in ihren Eisschichten fixierten festen, flüssigen und gasförmigen, z. T. nur mikroskopisch kleinen Einschlüsse geben darüber z. T. detailliert Auskunft. Man entnimmt ihnen deshalb in mühsamster Arbeit Eisbohrkerne, die anschließend in spezielle Lagerräume gebracht und dort bei Minusgraden für wissenschaftliche Untersuchungen aufbewahrt bleiben. Die in den Bohrkernen enthaltenen Eisschichten werden mit Hilfe chemischer und physikalischer Methoden datiert, damit die in den Einschlüssen enthaltene Information in die Zeitreihe exakt eingeordnet werden kann und Vergleiche mit zeitlichen Entsprechungen möglich werden; letztere können Informationen (Klimasignale, Luftschadstoffe) aus Eisbohrkernen anderer Gletscher und/oder aus anderen Arten natürlicher Archive (e. g. Moor- und Seeablagerungen) sein.

Ist ein Gletscher abgetaut, ist die in seinem Medium gespeicherte Information vollständig dissipiert und für immer verloren. Deshalb sollte man vor diesem point of no return auch aus den Gletschern in den Bayerischen Alpen Information bergen, indem man aus ihnen Eisbohrkerne entnimmt und sie für Forschungszwecke nutzt.

Geeignet dafür könnte der Höllentalgletscher sein: Er ist einer der mächtigsten Gletscher Bayerns, der in Muldenlage im nach Osten orientierten gleichnamigen Kar unter der Zugspitze im Wettersteingebirge lagert. Weil er von S und W durch hohe Felswände vor Sonnenstrahlung geschützt ist, blieb dieser Gletscher bis heute in relativ geringer Höhenlage zwischen derzeit ca. 2200m-2550m erhalten. Von allen Bayerischen Gletschern hat er die größte Fläche mit 16,7 ha und mit 33 m die größte maximale Dicke (gleichauf mit dem Nördlichen Schneeferner, der allerdings als Skipiste genutzt wird). Durch seine bezüglich der nordhemisphärischen Westwinde leeseitige Position wird der Höllentalgletscher einen erhöhten Anteil an partikulärer äolischer (windtransportierter) Fracht haben.

Dort, wo die 33 m gemessen wurden, könnte der Eisbohrkern entnommen werden, sofern man an der Stelle davon ausgehen kann, dass die Eisschichten längs der Bohrung ungestört übereinander liegen. Dann wird das geborgene Material in das Eisbohrkernlager in Bremerhaven gebracht, wo  schon kilometerlange Eisbohrkerne aus der Arktis und Antarktis lagern. Im Eislabor des Alfred Wegener Instituts könnte dann das maximal 33 m lange Material vom Höllentalgletscher untersucht werden. Neben Daten über Klimaentwicklung und über die Chronologie der Ablagerung von Luftschadstoffen könnte auch das Alter der tiefsten erbohrten Eisschicht bestimmt werden.

Sollte man sich zu dieser Aktion entschließen und sie in den Medien publik werden, wäre sie ein wirksames Signal, den Klimawandel ernst zu nehmen und sich entsprechend zu verhalten.

Mit freundlichen Grüßen

Hubert Engelbrecht

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P.S.1: Leider sind nach freundlicher Auskunft eines Glaziologen der Bayerischen Akademie der Wissenschaften die physikalischen Gegebenheiten für die Untersuchung und Archivierung von Klimadaten aus Gletschereis in Bayern nicht günstig: Denn alle bayerischen Gletscher sind "temperierte" Gletscher, was bedeutet, dass im Sommer das Schmelzwasser seinen Weg durch die gesamte Eissäule findet; so werden Lage und/oder Inhalte der Einschlüsse veändert. Zudem gibt es an den bayerischen Gletschern keine ungestörten Schichtabfolgen im Eis (ausgenommen evtl. der Watzmanngletscher), da diese Gletscher zumindest in der Vergangenheit sich zu dynamisch verhielten. Auch die zu erwartenden Eisalter sind eher gering. Der oben genannte Hoellentalferner hat dem Glaziologen zufolge Akkumulationsraten von mindestens 1-2m Eis pro Jahr (im langfristigen Mittel; leider nicht in den letzten Dekaden). Dies bedeutet, dass das Eis an der Basis auch unter der Annahme einer Ausdünnung durch Verformung sehr wahrscheinlich nicht viel älter ist als 50-80 Jahre.

09.10.2021

Ergänzung: Es wäre interessant zu wissen, wie lange das Eis des Höllentalgletschers kontinuierlich über die Zeit bestand: war es schon vor der kleinen Eiszeit vorhanden und wenn ja, wie lange?

Seit Ende der Würm-Kaltzeit gab es mehrere Warmphasen, in denen dieser Gletscher vollständig abgetaut und sich bei anschließender Abkühlung wieder gebildet haben könnte.

Man müsste dazu die älteste Moräne kennen, die vom Eis des derzeit noch bestehenden Gletschers geformt wurde und versuchen, sie zu datieren, wie in Moran et al. (2016: http://dx.doi.org/10.3285/eg.65.2.03) beschrieben; oder die bei Bergsturzdatierungen angewandte "Innsbrucker Methode" verwenden, bei der die Mengenverhältnisse zwischen den geringen Mengen an 234U (Halbwertszeit 245500a) und 230Th in Aragonitsintern gemessen werden, die sich kurze Zeit nach der Ablagerung gebildet haben.

Eine andere Methode könnte eine Anwendung der Expositionsaltersdatierung sein:  von anderem Material überdecktes Gestein ist nicht mehr der Strahlung aus dem Weltraum ausgesetzt; sie erzeugt in den Mineralkörnern des Gesteins durch Kernreaktionen Isotope, von denen einige radioaktiv sind. Durch Abschirmung der Strahlung mit geeignetem und genügend mächtigem Material können solche Isotope nicht mehr entstehen. So könnte man bei bekannter Halbwertszeit anhand des Mengenverhältnisses zwischen Mutter- und Tochterisotopen - hier 36Cl (Halbwertszeit ca. 300000a): zerfällt in 36S oder 36Ar - die Zeitdauer schätzen, seitdem das Gestein im Untergrund des Gletschers von dessen Eis verdeckt ist und damit indirekt das Alter des Gletschers schätzen, wenn man Gesteinsproben von seinem Untergrund hätte. Dazu müsste man auch wissen, welche Mächtigkeit Gletschereis haben muß, damit sein Untergrund keiner Weltraumstrahlung mehr ausgesetzt ist.