Kommentare zu "Die Alpen in Not - als Folge verfehlter Politik?

20.04.2020:
vielen Dank für den Beitrag zur Entwicklung des Zustands der Alpen im Anthropozän. Die Maßnahmen, die vor Ort zu ihrem Schutz getätigt werden und die Sie im 7.-8. Absatz nennen, sind prima, aber wohl angesichts der überwältigenden Größe der von außen kommenden Klimawirkungen auf die Berge leider zu gering. Die Berge mit ihren Böden, ihrer sensiblen Fauna und Flora und weiter oben mit dem gar nicht so ewigen Eis am und im Fels sind nicht schützbar gegen den anthropogenen Klimawandel, der bedeutet: Temperaturzunahme, Änderung der Niederschlagsmengen, Starkwinde, Dürren, Fluten; dazu saurer Regen. Um sie wirklich zu schützen, müssten wir die Alpen in einem recht großen Museum ausstellen und die Klimaanlage einschalten, sodass für sie die Klimaverhältnisse des Jahres 1760 (Beginn der Industrialisierung) simuliert werden. Seitdem sind mit entsprechenden Folgen und seit 50 Jahren wider besseres Wissen global ca. 2 Teratonnen CO2 aus fossilem C in der Atmosphäre entsorgt worden. Weitere 2,7 TT CO2 könnten im schlechtesten Fall noch dazu kommen. Die Folgen wegen des Verbrennens von fossilem C werden immer besser erforscht; sie sind nicht mehr übersehbar. Ein paar Beispiele: So werden weiterhin ca. 2 km³ Eis/Jahr von dem noch vorhandenen 60 km³ Alpeneis (1) schmelzen und die darin eingeschlossenen atmosphärischen Schadstoffpartikel aus vergangenen Jahrzehnten freisetzen. Die Böden werden an Qualität und Wasserspeicherkapazität verlieren, weil wegen T-Zunahme um 0,5°C/10a die Bodenbakterien mehr organischen C verstoffwechseln. Das Fehlen von Frühjahrs-Schneeschmelzwässern aus den Bergen wird global für die Landwirtschaft als Trillionen-$-Problem gesehen. Einer Studie zufolge verringerte sich von 1979-2010 die Körpermasse der Gams wegen höherer Frühjahrs- und Sommer-Temperaturen um 20%.
Keine Antwort kam, als ich Reinhold Messner anschrieb, er solle sein 7. und letztes Museum („Die Alpen im Klimawandel“) noch vollenden.
Ich bin ratlos.
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27.05.2020
ich schreibe weiter, weil mit < 2000 Zeichen nicht alles, was mir bei den Alpen wichtig ist, mitteilbar war. Das Problem - besserer Schutz des Naturerbes der Alpen - liegt m. E. in den Themen Feingespür und Moral: hier v. a. betreffend Verantwortung, Fairness, Rücksichtnahme und Verzicht; d. h.: Inwieweit der Mensch seinen indirekten und direkten Nutzungseinfluss auf das / Konsum des Naturerbe/s beschränkt und damit Zustandsänderungen oder Verluste einzelner Teile davon begrenzt. Beispiele für den indirekten Einfluss sind schon genannt. Dazu kommen die Immissionen von reaktivem Stickstoff - aus Landwirtschaft, Gasverbrennungsmotoren, alten Öfen und Heizkraftwerken - die nicht nur zu Überdüngung alpiner Gewässer und Böden, sondern auch zu einem Verlust an Pflanzenarten (mehr Generalisten) und ihren Symbionten führt. Zudem: Die Begrenztheit bei Verbreitungsbereichsverschiebungen kälteliebender alpiner Arten führt zu Habitatkontraktionen. Der direkte Einfluß des Menschen auf die Alpen besteht in Siedlungs-, Erschließungs-, Wirtschaftsdruck, Alpinismus, Sommer-, Wintertourismus; Blechlawinen. Das von einem PKW-Motor auf 500m horizontaler Strecke emittierte CO2 schmilzt wegen seines Treibhauseffekts langfristig ca. 1 kg Eis. Freilich sind Erholung und Ertüchtigtung in den Alpen wichtig. Aber die seit Jahrzehnten in die 10er Mio. gehenden Übernachtungszahlen/Saison sind zu hoch; auch die Ansprüche der Gäste. Besser weniger Konsum und Nutzung, dafür mehr Naturerhalt. Auch wenn anstatt 28% die gesamten Alpen geschützt wären, ist wegen des immensen Einflusses des Menschen ihr Naturerbe nicht dauerhaft erhaltbar. Seine Transformation ist leider schon im Gange. Mehr Schutzgebiete wären gut, weil in diesen die Geschwindigkeit ökologischer Reaktionen herabregulierbar ist. Wegen der Nachkommen und der schon begonnenen Schadens- und Verlustgeschichten alpiner Kultur- und Naturgüter ist eine gründliche Dokumentation dieser Transformation Pflicht.
Grüße
HE
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21.06.2020
nun mein abschließender Kommentar zum Problem, wie das Alpen-Naturerbe am besten zu schützen wäre: Alle sollen solidarisch mithelfen, damit die begonnenen Maßnahmen der CIPRA noch besser wirken. Ohne Interessenkonflikte wäre das sehr einfach: die Alpen in Ruhe lassen; Transit über sie und Zugang zu ihnen verteuern; ansonsten sparsam leben. Dazu: das im Leben generalisieren, was man in den Bergen erfahren hat: nur das Nötigste mitnehmen; keine Selbstüberschätzungen; gut planen und vorbereiten; Risiken minimieren; Kräfte einteilen.
Auf jeder Bergtour bekommt man erneut die Grenzen des menschlichen Maßes gesetzt: Höhenmeter kosten Kraft und Zeit, treiben Schweiß. Aber Technik, Industrie und Wirtschaft haben auch dieses elementare Maß marginalisiert: der Privatverbraucher zahlte im Jahr 2019 max. 0,30 € für 1 kWh Strom; in Hubarbeit umgerechnet bedeutet das, dass eine Person mit 80 kg Gewicht 4587 Hm überwinden muss. Ca. 220 Arbeitssklaven pro Weltbürger wären notwendig zur manuellen Bewältigung der globalen Maschinenarbeit.
Warum unterblieb bei den Alten ein entsprechender Protest wie bei den jungen fridays-for-future
? Die Veränderungen in der Bergwelt, die viele der Alten über die Jahrzehnte direkt erlebt haben, hätten zumindest beunruhigen müssen. Wenigstens verblieben vereinzelt Dokumente wie Fotoalben, Tagebücher und Chroniken, die klar zeigen, wie das Alpen-Naturerbe beeinträchtigt wurde.
Kaum erträglich ist die inzwischen gewonnene Erkenntnis, dass mein Leben - Jg. 1957 - enden wird in großer, unlösbarer Sorge, ob die Menschheit noch rechtzeitig in eine klima-, ressourcen- und umweltverträgliche Lebensweise wechseln kann. Gelingt das nicht, war alles umsonst.
Ich beende meine Beiträge mit ungutem Gefühl, weil mein ökologischer Fußabdruck mit 1,6 Erden zu dem beschriebenen Problem beitrug. Ob es folgerichtig ist, mir deshalb Berechtigung und Kompetenz für meine Ausführungen abzuerkennen, mögen die Leser selbst beurteilen.
Alles Gute!
HE

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(1) Ergänzung: Nach einer besseren Langzeit-Bestandsaufnahme der noch vorhandenen Eismenge der ca. 4000 Alpengletscher betrug diese im Jahr 2000 mit ca. 130 km³ zwar mehr das Doppelte der bisherigen Schätzung. Bis 2014 jedoch schmolzen davon 22 km³ bzw. 1,3 GT/Jahr. Die Gletscheroberflächen sanken demzufolgen um gemittelt 72 cm/Jahr ein und die Gesamtgröße der vom Eis jährlich freigegebenen Fläche summierte sich auf 39 km²/Jahr (Sommer, C.; Malz, P.; Seehaus, T. C. et al. Rapid glacier retreat and downwasting throughout the European Alps in the early 21st century. Nature Communications, 2020, 11, 3209, https://doi.org/10.1038/s41467-020-16818-0 (veröffentlicht am 25.06.2020).